Safety measures concerning the Coronavirus COVID-19. Read more about the measures.

x

Die Währungsunion – stabil trotz Krisen

Speeches
ESM
Online

Rede “Die Währungsunion – stabil trotz Krisen”
Klaus Regling, ESM Geschäftsführender Direktor
17. International Real Estate Business School Symposium der Regensburg Universität
Online, 8 Oktober 2021 

(Es gilt das gesprochene Wort)

„Die Zukunft des Euro“ – so lautete der Titel meiner Rede, die ich im November 2011 an der Universität Regensburg hielt, als mir die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät den Ehrendoktor verlieh. „Der Euro wird nicht scheitern – im Gegenteil, er wird aus seiner momentanen Krise gestärkt hervorgehen.“ Das war meine Botschaft damals, auf dem Höhepunkt der Eurokrise. Und sie führte bei vielen im Saal zu ungläubigem Staunen. 

Heute, zehn Jahre später, spreche ich immer noch über den Euro. Nicht nur, weil ich überzeugter Europäer bin – sondern auch, weil ich glaube, dass der Euro als ein entscheidender Bestandteil der europäischen Integration für die Stärkung der Europäischen Souveränität unabdingbar ist. 

Zunächst ein kurzer Blick zurück. 

In den Jahren nach der Eurokrise hat sich viel getan. Wir hatten die Schwächen der Währungsunion erkannt und nach und nach ausgeglichen. So wurden mehrere neue Institutionen geschaffen, die die Prävention und das Management von Krisen verbessern. 

Der temporäre Euro-Rettungsschirm EFSF wurde im Juni 2010 gegründet.

Noch in demselben Jahr wurde die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA errichtet, die Standards und Regeln für den Bankensektor entwickelt sowie der Europäische Ausschuss für Systemrisiken ESRB, der das Finanzsystem der Europäischen Union überwacht, um vor allem makroprudenziellen Risiken vorzubeugen bzw. zu begrenzen. 

Im nächsten Jahr kam die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA, dazu, die den Anlegerschutz verbessert und stabile, Finanzmärkte fördert.

Dann folgte auf den temporären Rettungsschirm EFSF, der permanente Krisenfonds für den Euroraum ESM, die Institution, die ich leite. 

Mit dem Beginn der Bankenunion wurde die europäische Bankenaufsicht SSM 2014 geschaffen. Der SSM überwacht direkt die 130 systemrelevanten Banken im Euroraum. Banken, deren Ausfall die Volkswirtschaft und das Finanzsystem eines Landes erheblich in Schwanken bringen könnten. 

Der einheitliche Abwicklungsmechanismus SRB stellt seit 2015 sicher, dass insolvenzbedrohte Finanzinstitute mit möglichst geringen Auswirkungen auf die Wirtschaft und auf die öffentlichen Finanzen, falls notwendig, abgewickelt werden können.

Die Schaffung dieser neuen Institutionen war ein Sprung nach vorne und hat das institutionelle Fundament der Währungsunion gestärkt. Unsere Arbeit in den letzten 10 Jahren – die darauf abzielte die Währungsunion krisenfester zu machen – hat uns auch in der aktuellen Pandemie geholfen. 

In den letzten 1 ½ Jahren haben wir zweifellos die schlimmste Krise in der Geschichte der EU erlebt. Die Pandemie hat Europa verändert – ökonomisch, politisch, sozial. 

Aber Europa hat auf diese tiefgreifende Krise überzeugend geantwortet: Als Sofortmaßnahmen auf die Pandemie, wurden – bereits im April letzten Jahres – drei EU-Sicherheitsnetze geknüpft, die zusammen einen finanziellen Umfang von 540 Milliarden Euro haben. 

•    Eine Pandemie-Kreditlinie des ESM zur Finanzierung von Kosten im Gesundheitswesen;
•    Ein Sicherheitsnetz der Europäische Kommission für Arbeitnehmer, und 
•    Zusätzliche Kredite der Europäischen Investitionsbank für Unternehmensinvestitionen.
 

Zusätzlich wurde im Juli letzten Jahres der 750 Milliarden Euro Aufbauplan verabschiedet, auch bekannt als „NextGenerationEU“. Er unterstützt Wirtschaftsreformen und die grüne und digitale Transformation, um langfristig ein nachhaltiges Wachstum in den EU-Ländern zu ermöglichen. 

Um ein ausgeglichenes Wachstum in der gesamten EU zu erreichen, erhalten die Länder, die besonders von der Pandemie betroffen sind, besonders viel Unterstützung. Die Solidarität in der EU hat damit eine neue Dimension erreicht. Diese Solidarität ist wichtig. Ohne sie würden die wirtschaftlichen Unterschiede innerhalb der EU stark steigen, was sowohl für das Funktionieren des Binnenmarktes als auch für die Währungsunion schädlich wäre.

Außerdem kann „NextGenerationEU“ den wirtschaftlichen Strukturwandel und die Transformation zu „grün“ und „digital“ beschleunigen, und die europäische Integration voranbringen.  

Zur europäischen Integration gehört auch die weitere Vertiefung unserer Währungsunion. Es ist richtig, dass sich die EU jetzt auf die Bekämpfung der Pandemie konzentriert. Die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion sollten wir aber dennoch nicht aus den Augen verlieren: sie ist wichtig, um für künftige Krisen noch besser gewappnet zu sein und um die europäische Souveränität zu stärken.

Meine Diplomarbeit an der Universität Regensburg habe ich 1973 zur „Theorie der optimalen Währungsgebiete“ geschrieben: eine Theorie, die damals von Robert Mundell entwickelt worden war und die bis heute relevant und eines meiner Lieblingsthemen geblieben ist. 

Da ich mich nun schon fast 50 Jahre mit dem Thema Währungsunion auseinandersetze, weiß ich, dass noch einiges zu tun ist, um den Euroraum noch widerstandsfähiger zu machen. Nachdem wir uns im letzten Jahrzehnt auf die Schaffung neuer Institutionen konzentriert haben, sehe ich jetzt Handlungsbedarf auf den folgenden Gebieten:

Eine Bankenunion und ein Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen – eine Kapitalmarktunion – hätten viele Vorteile: Sie würden zu einem stärkeren Wachstum in Europa beitragen, indem Kapital effizienter zwischen den einzelnen EU-Ländern verteilt wird.

Die effizientere Nutzung des Kapitals würde grenzüberschreitende Investitionen erleichtern, die Wettbewerbsfähigkeit des Euroraums stärken und neue Wege zur Finanzierung von Unternehmen eröffnen. Das ist gerade jetzt besonders wichtig, um der Wirtschaft des Euroraums in der Erholungsphase nach der Pandemie zu neuem Wachstum zu verhelfen.

Zur Vollendung der Bankenunion müssen noch einige schwierige Entscheidungen getroffen werden, darunter eine gemeinsame Einlagensicherung - dies ist besonders in Deutschland ein heikles Thema. aber auch die verbesserte grenzüberschreitende Integration des Bankensektors und die Diversifizierung der Staatsanleihen in den Bankbilanzen. 

Der nächste wichtige Schritt zur Vollendung der Bankenunion ist zunächst die Letztsicherung des ESM für den einheitlichen Abwicklungsfonds. Dieser sogenannte backstop ist ein wichtiges Element der ESM-Reform, die Anfang 2022 in Kraft treten und dazu beitragen wird, die finanzielle Stabilität im Euroraum weiter zu verbessern. 

Neben der Bankenunion ist die Kapitalmarktunion das andere große Projekt zur Stärkung der Risikoteilung im Währungsraum. Ein vollständig integrierter Finanzmarkt würde konjunkturellen Divergenzen zwischen den Mitgliedstaaten durch die Märkte dämpfen. Ökonomen nennen dies „Risikoteilung“.

Gegenwärtig besteht der Euroraum jedoch aus 19 nationalen Kapitalmärkten mit eigenen Regeln und Hindernissen für grenzüberschreitende Investitionen. Voraussetzung für eine Kapitalmarktunion ist ebenso eine teilweise Harmonisierung des Insolvenzrechts, die Angleichung der Steuerbasis für Unternehmen, ein rechtlicher Rahmen für Crypto-Assets sowie die Vereinfachung der Vorschriften für Börsenzulassungen.1  

Unsere Währungsunion würde bereits mit einer vollständigen Banken- und Kapitalmarktunion viel robuster werden. Nicht nur, weil dadurch das Wachstum, sondern auch die sogenannte „Risikoteilung“ gestärkt würde. 

Die Risikoteilung kann aber auch über öffentliche Kanäle erfolgen. Dies geschieht heute bereits über den EU-Haushalt, über Darlehen der Europäischen Investitionsbank, über die finanziellen Hilfen des ESM und über „NextGenerationEU“ in den nächsten Jahren. „NextGenerationEU“ ist aber zeitlich begrenzt und auf die Bedürfnisse aller EU-Länder, aber nicht auf den Euroraum, zugeschnitten. 

Für den Euroraum gibt es andere mögliche Optionen, wie Risiken geteilt werden können: Es wäre sinnvoll, den Werkzeugkasten der Währungsunion durch ein zusätzliches Instrument zur makroökonomischen Stabilisierung zu ergänzen. 

Wie ich damals auch in meiner Diplomarbeit beschrieben habe, brauchen Länder einer Währungsunion mehr fiskalische Notfall-Puffer als Länder mit einer eigenen Währung. Denn die Länder einer Währungsunion haben zwei wichtige volkswirtschaftliche Instrumente aufgegeben haben: nämlich die eigene Geldpolitik und den Wechselkurs der eigenen Währung. Somit sind fiskalische Maßnahmen für diese Länder der einzige makroökonomische Hebel, um einem externen Schock – wie zum Beispiel einer Pandemie – entgegenzusteuern. 

Eine zentrale Fiskalkapazität würde die nationalen Haushaltspuffer der Mitgliedsstaaten in einer Krise um einen europäischen Haushaltspuffer ergänzen, um wirtschaftliche Abschwünge abzufedern. Der ESM könnte diese zusätzliche Aufgabe übernehmen.

Als einen weiteren Schritt sehe ich die Notwendigkeit den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu reformieren. Dieser Pakt koordiniert die Haushaltspolitik und sichert die Schuldentragfähigkeit der Euro-Länder.

Wegen Covid-19 sind die Regeln zur Kontrolle der nationalen Defizit- und Schuldenstände noch bis zum Ende des kommenden Jahres ausgesetzt. Dies gibt uns ein Zeitfenster, um die Regeln zu überarbeiten, sie einfacher zu machen und dem neuen wirtschaftlichen Umfeld anzupassen. 

Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt war schon vor der Pandemie reformbedürftig. Seine Hauptelemente gehen auf seine Einführung in den 1990er Jahren zurück und spiegeln das veränderte makroökonomische Umfeld nicht wider.  

Gegenwärtig ist die Verschuldung in allen Mitgliedstaaten der Währungsunion zwar tragbar. Das ist – bis zu einem gewissen Grad – das Ergebnis der niedrigen Zinssätze und der geldpolitischen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank. Aber die Zinssätze werden nicht ewig so niedrig bleiben. Und gleichzeitig werden neue Kosten – wie etwa die Kosten einer alternden Gesellschaft – die Haushalte der Länder zusätzlich belasten.

Sie sehen, es gibt auch in Zukunft viel zu tun, um die Währungsunion noch krisenfester zu machen. Dies ist auch sinnvoll, weil alle zusätzlichen Schritte zur Vollendung der Währungsunion, die ich genannt habe, auch die internationale Rolle des Euro stärken würden. 

Die Vollendung der Bankenunion und Fortschritte auf dem Weg zu einer Kapitalmarktunion 
würden – zusammen mit einem fiskalischen Stabilisierungsinstrument – den Euro auch für globale Investoren attraktiver machen und damit seine internationale Rolle stärken.

Wir sollten die aktuelle Krise daher als Chance nutzen, um wirtschaftliche Schwächen zu beseitigen, die digitale und grüne Transformation zu beschleunigen, und um die Währungsunion zu vertiefen. 

So schließe ich heute – wie auch vor zehn Jahren – mit einer zuversichtlichen Botschaft: Nicht nur der Euro, sondern auch Europa, wird aus der momentanen Krise gestärkt hervorgehen.

Vielen Dank.


1 Momentum builds for Europe’s capital markets union | European Stability Mechanism (europa.eu)

Contacts

Head of Communications and Chief Spokesperson
+352 260 962 205

Deputy Head of Communications and Deputy Chief Spokesperson
+352 260 962 551

Principal Speechwriter and Principal Spokesperson
+352 260 962 654

Senior Financial Spokesperson
+352 260 962 232