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Was kommt nach dem Eurogipfel? Die Rolle des ESM in einer vertieften Währungsunion

ESM

Klaus Regling, ESM Geschäftsführender Direktor
„Was kommt nach dem Eurogipfel? Die Rolle des ESM in einer vertieften Währungsunion“

Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der EU
Brüssel, 29 Januar 2019
 
(Es gilt das gesprochene Wort)
 
Sehr geehrter Herr Minister Lienenkämper,
Meine Damen und Herren,
 
ich freue mich in der Vertretung von Nordrhein-Westfalen zu sprechen.
 
Luxemburg und der ESM stehen Nordrhein-Westfalen näher als Sie vielleicht denken. Nur wenige Meter vom Gebäude des ESM – mitten im Herzen des Europaviertels – befindet sich der „Boulevard Konrad Adenauer“. Der erste Bundeskanzler Deutschlands ist wohl der bekannteste Rheinländer. 1957 wurde er mit dem luxemburgischen Großkreuz des Ordens der Eichenkrone ausgezeichnet. Adenauer stand schon als Bundeskanzler für eine Politik der europäischen Integration.
 
Seitdem sind viele Jahre vergangen. Die europäische Integration hat sich vertieft. Anfang dieses Jahres haben wir den 20. Geburtstag unserer Gemeinschaftswährung gefeiert. In diese Zeit fiel auch die Euro-Krise, die wir nun schon seit einiger Zeit überwunden haben.
 
Die Eurokrise hat zwei Dinge verdeutlicht: erstens, dass es im ersten Jahrzehnt in einigen Ländern des Währungsraums im Bereich Wettbewerbsfähigkeit, öffentliche Schulden und Immobilienmärkte zu erheblichen Fehlentwicklungen kam. Und zweitens, dass die Währungsunion institutionelle Schwächen und Lücken hatte.
 
Heute ist der Euroraum besser aufgestellt als vor zehn Jahren. Grund ist ein breites Maßnahmenpaket, das in seinem Zusammenspiel erfolgreich war. Tiefgreifende Reformen in den Mitgliedstaaten, die Kredite von den Rettungsschirmen erhielten, haben deren Probleme weitgehend beseitigt. Die unkonventionelle Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) war als weiteres Element unabdingbar, um aus der Krise herauszukommen. Gleichzeitig wurde die Koordinierung der Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene deutlich verbessert. Und die institutionelle Architektur der Währungsunion wurde durch die Schaffung der Bankenunion und die Gründung der beiden Rettungsschirme erheblich gestärkt.
 
Im Rahmen der Bankenunion wurden der Einheitliche Aufsichtsmechanismus SSM und der Einheitliche Abwicklungsmechanismus SRM geschaffen.
 
2010 erfolgte die Gründung der temporären Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität EFSF. Zwei Jahre später wurde der permanente ESM geschaffen.
 
Der ESM wurde aus einem bestimmten Grund eingerichtet: er hat eine institutionelle Lücke im Euroraum geschlossen. Vor der Krise gab es im Euroraum keinen „Kreditgeber letzter Instanz für Länder“.
 
Ohne die Schaffung der Rettungsschirme hätten frühere Programmländer wie Griechenland, Irland und Portugal vermutlich die Währungsunion verlassen müssen. Europa würde heute anders aussehen.
 
Der ESM wendet bei der Kreditvergabe das Grundprinzip des Internationalen Währungsfonds an: Darlehen werden nur ausgezahlt, wenn das Empfängerland umfangreiche Reformen umsetzt.
 
Obwohl wir schon viel Aufklärungsarbeit geleistet haben, wird manchmal immer noch behauptet, dass die ESM-Programme mit Steuergeldern finanziert werden. Das ist falsch. Das Geld für die Darlehen wird von den Rettungsfonds am Markt aufgenommen. Natürlich übernehmen unsere Mitgliedstaaten Risiken, wenn die Rettungsschirme Kredite vergeben: bei Nicht-Rückzahlung haften die nationalen Budgets. Aber die Programmländer müssen ihre Darlehen in vollem Umfang zurückzahlen, einschließlich der Zinsen.
 
Mit rund 80 Milliarden Euro hat der ESM das höchste eingezahlte Kapital von allen internationalen Finanzinstitutionen. Dies dient als Sicherheit für Investoren. Das eingezahlte Kapital ist der Grund, warum der ESM ein ausgezeichnetes Rating hat und am Markt nur niedrige Zinsen zahlen muss.
 
Die günstigen Finanzierungsbedingungen gibt der ESM gegen strikte Konditionen an seine Kreditnehmer direkt weiter. Die niedrigen Zinsen verschaffen den jeweiligen Ländern erhebliche Haushaltsersparnisse: Griechenland hat dadurch zum Beispiel in 2017 rund 12 Milliarden Euro gespart. Das sind fast 7% der griechischen Wirtschaftsleistung. Und diese Ersparnis wiederholt sich Jahr für Jahr.
 
Seit 2011 haben die Rettungsschirme insgesamt Darlehen von rund 295 Milliarden Euro an Irland, Portugal, Griechenland, Spanien und Zypern vergeben. Heute verzeichnen Irland, Portugal, Spanien und Zypern hohes Wachstum und rasch sinkende Arbeitslosigkeit. Und sie können sich wieder problemlos am Markt refinanzieren. Auch Griechenland ist auf einem guten Weg – vorausgesetzt, das Land bleibt auf Reformkurs.
 
Es ist also viel passiert während der letzten 10 Jahre. Und die Währungsunion ist heute stabiler und besser gerüstet für die nächste Krise als vor einem Jahrzehnt. Aber die Reformen gehen, zu Recht, weiter.
  

Reform im Euroraum: Was bedeutet das für den ESM?

 
Wie beim Treffen der Euro-Finanzminister vor einer Woche gut zu sehen war, steht die Vertiefung der Währungsunion ganz oben auf der Arbeitsagenda für Europa. Dabei geht es um die Vollendung der Bankenunion, die Weiterentwicklung des ESM und fiskalische Fragen.
 
Zunächst ein paar Worte zur Weiterentwicklung des ESM.
 
Der Vorschlag der Euro-Finanzminister, den ESM zu stärken, wurde beim Eurogipfel im Dezember angenommen. Was bedeutet das konkret?
 
Erstens wird der ESM die Letztabsicherung (backstop) bei Bankenabwicklungen in der Bankenunion übernehmen. Diese Letztabsicherung ist sinnvoll, falls die Mittel des Abwicklungsfonds SRF nicht ausreichen. Ich erwarte, dass dies – wie in den USA – nur ganz selten genutzt werden wird. Es wird auch hierbei keine zusätzliche finanzielle Belastung für die Steuerzahler geben. Spätestens 2024 soll die Letztabsicherung voll einsatzfähig sein. Derzeit arbeiten wir Einzelheiten aus, wie zum Beispiel die Abstimmungs- und Beschlussprozesse.
 
Zweitens wird der ESM eine stärkere Rolle in zukünftigen Hilfsprogrammen spielen. In Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission wird der ESM Hilfsprogramme konzipieren, aushandeln und überwachen. Beide Institutionen haben sich im vergangenen November über ihre künftige Zusammenarbeit verständigt.
 
Drittens werden der „Instrumentenkasten“ des ESM überprüft und die vorbeugenden Kreditlinien effizienter gemacht. Der ESM verfügt insgesamt über verschiedene finanzielle Instrumente. Bisher wurden nur zwei genutzt: langfristige Darlehen im Rahmen eines ESM-Programms, die an Griechenland, Irland, Portugal und Zypern ausgezahlt wurden und ein Darlehen an Spanien zur Rekapitalisierung des Bankensektors.
 
Teil der angenommenen Vorschläge ist es auch, die Rolle des ESM bei Fragen der Schuldentragfähigkeit zu stärken. Aufgabe des ESM ist es immer, seine Perspektive als Gläubiger in die Verhandlungen einzubringen. Der ESM darf nur dann Kredite an Mitgliedstaaten vergeben, wenn die Schulden dort tragfähig sind. Künftig werden die Kommission und der ESM gemeinsam eine Schuldentragfähigkeitsanalyse erstellen. Außerdem kann der ESM Gespräche zwischen den Gläubigern und einem Land im Zuge einer möglichen Schuldenrestrukturierung erleichtern, falls das gewünscht und sinnvoll ist.
 
Um uns auf die anschließende Debatte einzustimmen, lassen sie mich noch ein paar Worte zur oft vernommenen Kritik sagen, dass der ESM Demokratie- oder Rechenschaftsdefizite aufweise, weil er intergouvernemental organisiert ist; der ESM-Vertrag ist ein internationaler Vertrag. Im EU Vertrag wird der ESM nicht erwähnt.
 
Auf lange Sicht bin ich dafür, den ESM in den EU-Vertrag zu integrieren. Ich plädiere dafür, den ESM analog zur Europäischen Investitionsbank (EIB) in den EU-Vertrag einzuführen. Die EIB ist eine Institution mit eigenem Kapital, und einem Verwaltungsrat, in dem die Anteilseigner vertreten sind. Die Letztentscheidung würde dabei weiter bei den Mitgliedsstaaten liegen und die Beteiligungsrechte des Bundestags und der anderen Parlamente würden gewahrt bleiben.
 
Der ESM erkennt die zentrale Rolle des Europäischen Parlaments in der öffentlichen Debatte über die Währungsunion an. Deshalb trete ich auf freiwilliger Basis im Europäischen Parlament auf, wann immer ich zu einem informellen Dialog eingeladen werde. Ich halte es für sehr wichtig, das Parlament über unsere Aktivitäten zu informieren und darüber zu diskutieren. Der ESM kann aber aus rechtlichen Gründen keine interinstitutionelle Vereinbarung mit dem Europäischen Parlament abschließen, die mit den interinstitutionellen Vereinbarungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Europäischen Kommission vergleichbar sind.
 
Der Grund ist, dass der ESM rechtlich außerhalb des institutionellen Rahmens der EU liegt. Das Gründungsdokument des ESM wurde von den Euro-Ländern unterzeichnet und in ihren Parlamenten ratifiziert. Der Gouverneursrat, das höchste Entscheidungsgremium des ESM, besteht aus den 19 Finanzministern der Euro-Länder. Die Minister sind ihren nationalen Parlamenten gegenüber rechenschaftspflichtig. Das ist richtig, weil die Risiken der ESM-Kreditvergabe letztlich bei den Haushalten der Mitgliedsstaaten liegen. Damit kann ich weder ein Demokratie- noch ein Rechenschaftsdefizit beim ESM sehen.
 
Natürlich können wir unsere Beziehung zum Europäischen Parlament weiterentwickeln. Die Möglichkeit eines Memorandum of Cooperation, die zur Zeit im ECON Ausschuss diskutiert wird, mag eine gute Option sein. 
 
  

Sind die angedachten Reformen ausreichend, um den Euroraum noch krisenfester zu machen?

 
Zurück zur Reformagenda. Die Dezember-Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion sind ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer robusteren Währungsunion. Ich denke aber, es sind noch einige weitere Schritte notwendig und sinnvoll, um den Euroraum dauerhaft wetterfest zu machen.
 
Im Rahmen der Bankenunion sollten wir uns der europäischen Einlagensicherung annehmen, auch wenn das Thema kontrovers bleibt. Das wurde auch in der letzten Eurogruppe besprochen. Es wurde eine Hochrangige Arbeitsgruppe eingesetzt. Sie soll einen möglichen Weg zur Einlagensicherung aufzeigen und wird im April einen Zwischenbericht an die Eurogruppe liefern und den Endbericht im Juni. Ich denke, das ist eine gute Entwicklung. 
 
Hätte es vor einigen Jahren eine europäische Einlagensicherung gegeben, wären die Darlehensvolumen aller ESM-Programme deutlich niedriger ausgefallen. Ein beträchtlicher Teil der Kredite wurde zur Rekapitalisierung von Banken in den jeweiligen Programmländern gebraucht. Denn verunsicherte Sparer hoben in der Krise ihre Ersparnisse ab.
 
Mit einer gemeinsamen Einlagensicherung wären die Ängste der Sparer – dass ihre Einlagen eventuell nicht in Euro, sondern in einer neuen, abgewerteten nationalen Währung ausgezahlt werden – hinfällig. Damit würde der Grund für nationale bank runs entfallen. Eine glaubwürdige Einlagensicherung würde den Schutz der Sparer in der gesamten Bankenunion verbessern, unabhängig davon, wo sich ihre Einlagen befinden. Und ist deshalb die beste Garantie dafür, dass sie nur selten gebraucht würde, wie auch die Erfahrung in den USA zeigt.
 
Jedes Mal, wenn ich für Einlagensicherung plädiere, betone ich auch gleichzeitig immer, dass die Voraussetzung für die Einführung einer Einlagensicherung eine erhebliche Risikoreduzierung bei den Banken ist. Altlasten müssen zunächst abgebaut werden. Dabei wurden durchaus Fortschritte erzielt:
 
Die Kernkapitalquote der europäischen Banken lag im September 2018 bei fast 15%. Und das Volumen notleidender Kredite sank im vergangenen Jahr im Euroraum insgesamt um rund 12%, in den Problemländern noch mehr.
 
Da es aber immer noch einige Länder mit Altlasten in den Banken gibt, muss dieser Trend weiter gehen. Ebenso sollte der hohe Anteil heimischer Staatsanleihen in den Bankenbilanzen verringert werden.
 
Zusammen mit einer Kapitalmarktunion würde es eine europäische Einlagensicherung erleichtern, einen einheitlichen europäischen Finanzmarkt zu schaffen. Der Grad der Finanzmarktintegration in Europa liegt weit unter dem Stand von vor 10 Jahren. Als Folge der Krise gibt es heute in der Währungsunion 19 nationale Finanzmärkte, nicht einen integrierten Markt. Das verhindert die Risikoteilung über die Märkte, die in den USA so gut funktioniert und die für eine quasi-automatische makroökonomische Stabilisierung sorgt.
 
Zur Stärkung des Euroraums gibt es außerdem zahlreiche Vorschläge, für neue fiskalische Instrumente zur makroökonomischen Stabilisierung und zur Konvergenz der Lebensverhältnisse. Doch in dieser Frage gibt es bislang unter den Euro-Länder noch keine Einigung. Das wurde bei der Diskussion unter den Euro-Finanzministern der vergangenen Woche nochmals deutlich.
 
Ich denke, dass über zusätzliche Instrumente zur makroökonomischen Stabilisierung aus folgenden Gründen nachgedacht werden sollte:
 
Erstens fallen in einer Währungsunion zwei makroökonomische Steuerungsinstrumente weg: die Geldpolitik und die Wechselkurspolitik. Deshalb bleibt nur die Fiskalpolitik, um bei Bedarf gegenzusteuern.
 
Zweitens wirkt die Geldpolitik in einem großen Wirtschaftsraum tendenziell immer pro-zyklisch. Regionen oder Länder mit hohem Wirtschaftswachstum und somit höherer Inflationsrate haben tendenziell zu niedrige Realzinsen. Regionen und Länder mit niedrigem Wachstum haben tendenziell zu hohe Realzinsen. Wir sehen das in Europa genauso wie in den USA oder China. Deshalb ist es nützlich, wenn man fiskalpolitisch gegensteuern kann.
 
Drittens ist die wirtschaftliche Risikoteilung im Euroraum weniger entwickelt als in den USA. Und zwar sowohl die Risikoteilung über die Märkte als auch die Risikoteilung über fiskalische Mechanismen. Im Euroraum gibt es keine gemeinsamen Steuer- und Sozialversicherungssysteme, die permanent die Konjunkturzyklen stabilisieren wie das etwa in den US-Bundesstaaten der Fall ist.
 
Bevor ein fiskalisches Instrument zur makroökonomischen Stabilisierung im Euroraum benutzt wird, sollten alle Euro-Länder natürlich zuerst ihre nationalen fiskalischen Puffer nutzen. So sieht es der Stabilitäts- und Wachstumspakt vor. Diese Puffer müssen deshalb als erstes aufgebaut werden. Aber diese nationalen Puffer könnten durch europäische Instrumente erweitert werden, um in einer Krise mehr fiskalischen Spielraum zu haben.
 
Es gibt mehrere Vorschläge zur makroökonomischen Stabilisierung im Euroraum: Investitionsstabilisierung, Rückversicherung nationaler Arbeitslosensysteme, Schlechtwetterfonds oder kurzfristige ESM-Kredite. Alle diese Vorschläge dienen derselben Zielrichtung, nämlich der zusätzlichen Risikoteilung zwischen den Mitgliedsstaaten im Euroraum. Dadurch kann vermieden werden, dass kleine Krisen sich zu großen Krisen ausweiten, bei denen der ESM zum Einsatz kommen muss. Wichtig ist: Alle diese Vorschläge können so konzipiert werden, dass sie nicht zu permanenten Transfers führen.
 
Meine Damen und Herren,
 
Ich finde, wir haben in den letzten Jahren viel erreicht. Der Euroraum ist heute robuster als vor 10 Jahren. Aber es gibt noch einige wichtige Schritte, um die Währungsunion noch wetterfester zu machen und um unsere Gemeinschaftswährung weiter zu stärken. Das Bewusstsein dafür kann durch Diskussionen wie heute Abend sicher geschärft werden.
 
 
 
 

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