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Interview mit Klaus Regling in Die Presse (Deutsch)

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Interview mit Klaus Regling, ESM Managing Director, in „Die Presse“ (Österreich)
Veröffentlicht am 9. September 2018
Interviewer: Karl Gaulhofer
 
Die Presse: Seit der Lehman-Pleite sind zehn Jahre vergangen. Hat Europa die richtigen Lehren aus der Krise gezogen?

Klaus Regling: Wir hatten ja mit zwei Krisen zu kämpfen, sehr rasch hintereinander, was ganz ungewöhnlich ist. Sie hängen zusammen. Die Eurokrise war zwar hausgemacht, aber sie wäre nicht so schlimm geworden, hätten wir nicht vorher schon die globale Finanzkrise gehabt. Global gibt es heute mehr Regulierung, da hatten wir davor zu wenig. Der Glaube, dass der Markt sich selbst reguliert, war falsch. In Europa haben die fünf Krisenländer ihre Hausaufgaben gemacht. Vier von ihnen stehen durch ihre Reformen heute besser da als die meisten anderen Eurostaaten. Sie sind Erfolgsgeschichten. Griechenland wird hoffentlich noch eine.

Was macht sie da so optimistisch? Das Land hat immer noch über 180 Prozent des BIPs an Schulden, Minister der Regierung Tsipras wollen Reformen rückabwickeln . . .

Griechenland muss die Reformen fortsetzen. Wir sind ein sehr geduldiger Gläubiger. Aber wir können die Schuldenerleichterungen stoppen, wenn man die Anpassungsprogramme nicht wie vereinbart fortsetzt. Ich bin nach meinen jüngsten Gesprächen mit Premier Tsipras zuversichtlich. Der Schuldenstand klingt erschreckend hoch, aber weil die Laufzeiten sehr lang und die Zinsen viel niedriger sind als bei den meisten anderen Ländern, kann Griechenland damit leben.

Noch mehr Sorgen müsste Ihnen die neue Regierung in Italien machen. Salvini und Di Maio versprechen Mehrausgaben, die das Budgetdefizit explodieren lassen würden.

Diese beiden Parteichefs haben zuletzt auch ganz andere Dinge gesagt: dass sie die Fiskalregeln einhalten wollen und die Drei-Prozent-Schwelle beim Defizit nicht überschritten wird. Also werden sie ihre Wahlprogramme wohl nicht umsetzen, schon gar nicht sofort.

Rom kann sich Übermut leisten. Auch Italien hat die Nullzinsen dazu genutzt, Anleihen mit längeren Laufzeiten zu begeben. Viele sagen: Die EZB hat die Eurokrise gelöst, nicht der Rettungsschirm. Aber Herr Draghi in Frankfurt hat gar keine Druckmittel, um ein vernünftiges Wirtschaften von Regierungen zu erzwingen. Ist das eine Gefahr?

Natürlich sind mit der Geldpolitik keine Bedingungen verbunden, sie wird symmetrisch für alle Mitglieder durchgeführt. Übrigens war heute allen Finanzministern beim Ecofin klar, dass sie sich auf ein Steigen der Zinsen vorbereiten müssen. Aber dass wir aus der Krise herausgekommen sind, lag am Zusammenspiel. Die Anstrengungen der einzelnen Länder, die Stärkung des Bankensystems, die Rettungsschirme und die unkonventionelle Geldpolitik: Keines allein hätte uns aus der Krise gebracht. Erst die Gesamtstrategie hat bewirkt, dass der Euroraum heute robuster dasteht als vor zehn Jahren. Aber er muss noch robuster werden.

Dazu gibt es ja viele Ansätze und Ideen. Besonders umstritten ist dabei - im Rahmen der Bankenunion - der Plan einer europäischen Einlagensicherung.

Es ist klar: Vorher müssen die Altlasten, wie notleidende Kredite, weitgehend abgebaut werden. Dann aber brauchen wir dieses Sicherheitsnetz, weil es das Risiko eines "Bank Runs" ausschließt. Bei unseren Hilfsprogrammen mussten wir über ein Drittel der Mittel zur Stabilisierung von Banken einsetzen, vor allem, weil sie Einlagen verloren hatten. Hätten wir diese Absicherung schon vor acht Jahren gehabt, dann hätten alle ESM-Programme viel kleiner ausfallen können.

Was es schon gibt, sind Regeln zur Abwicklung von Banken. Sie sollten sicherstellen, dass Aktionäre und nicht Steuerzahler zur Kasse gebeten werden. Schon beim zweiten Anlassfall in Italien sprang der Staat wieder ein. Ist der Mechanismus eine Totgeburt?

Sicher nicht. Was in Norditalien passiert ist, war aber hart an der Grenze der Regeln. Wichtig ist, dass durch solche Prozesse die Altlasten stark abgebaut wurden, in Italien wie in Spanien.

Der ESM soll zu einem Europäischen Währungsfonds ausgebaut werden, der mit Krisenländern verhandelt und sie überwacht. Warum überlässt man das nicht dem IWF mit seiner weltweiten Erfahrung?

Wir arbeiten ja eng mit dem IWF zusammen. In vier Ländern lief das gut, nur bei Griechenland hat es manchmal geknirscht. Aber die Mittel des IWF reichen überhaupt nicht aus, wegen der engen Verknüpfung der Finanzströme in der Währungsunion. Dazu kommt: Der IWF gehört zu 70 Prozent nicht europäischen Ländern. Die Chinesen, Inder oder Brasilianer waren auch nicht glücklich, dass der IWF überhaupt involviert war. Sie haben gefragt: Können das die Europäer nicht allein machen? Wir müssen also unabhängiger werden.

Ob Eurozonenbudget, ESM-Aufwertung oder Einlagensicherung - für Kritiker läuft das alles auf eine Transferunion hinaus, in der der tüchtige Norden für den verschwenderischen Süden zahlt und haftet.

Das wird heute nicht mehr so oft gesagt wie früher. Es ist ja eine Tatsache, dass für die 280 Mrd. Euro an Krediten aus den Rettungsschirmen bisher keinerlei Steuergelder geflossen sind. Der ESM hat ein sehr gutes Rating, kann billig Geld aufnehmen und gibt die niedrigen Zinsen an die Kreditnehmer weiter. Natürlich übernehmen die Mitgliedsstaaten durch ihre Haftungen und das hohe Eigenkapital Risiken. Aber das machen sie häufig, für alles Mögliche, etwa für Exportgarantien. Und wir vergeben kein Geld ohne Auflagen. So erzeugen wir Druck für Reformen.

Wie stark kann der Druck sein? Die Abhängigkeiten in der Eurozone sind so groß, dass Krisenländer gerettet werden müssen . . .

Also in Griechenland waren wir 2015 fünf Minuten vor dem Grexit. Auch in anderen, größeren Ländern sehen die Regierungen: Die Mehrheit der Bevölkerung will im Euro bleiben. Deshalb können sie nicht die unabsehbaren Kosten auf sich nehmen, die entstehen, wenn sie aus dem Euro fallen.

Bleiben Sie an der Spitze des "Europäischen Währungsfonds", oder gehen Sie in den wohlverdienten Ruhestand?

Ruhestand habe ich nicht vor, das ist doch etwas Ungesundes. Die Mitarbeiter bleiben gleich, und der Boss auch. Bis die Aufgabenerweiterung kommt, dauert es sicher noch ein Jahr. Wir werden vermutlich den Namen ESM belassen, um keine Verwirrung zu stiften.

Man kann Ihnen und uns nur wünschen, dass Sie wenig zu tun haben werden.

Natürlich, daran arbeiten.
 
 

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