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Klaus Regling im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Interview mit Klaus Regling, ESM Managing Director mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
 
Erscheinungstag: 8. Dezember 2018
 
Interviewer: Werner Mussler
 
 
FAZ: Herr Regling, sind Sie der neue Chef des Europäischen Währungsfonds?
 
Klaus Regling: Nein. Schon deshalb nicht, weil der ESM seinen Namen nicht verändern wird. Es hat sich in Deutschland umgangssprachlich eingebürgert, von einem Währungsfonds zu sprechen. Ich bin aber froh, dass wir weiter ESM heißen. Wir müssen unsere Anleihen platzieren, und die Investoren kennen uns jetzt als ESM. Würden wir umgetauft, müssten einige von ihnen erst wieder unsere Kreditwürdigkeit untersuchen. Gegen eine Namensänderung spricht ein weiterer Grund: Anders als der Internationale Währungsfonds (IWF)  refinanzieren wir uns nicht monetär, das heißt über die Zentralbanken.
 
Mehr Einfluss bekommen Sie aber schon. Was ist die wichtigste Aufgabe des „neuen“ ESM?
 
Wenn es in einer künftigen Krise – die ich in den kommenden Jahren nicht erwarte – zu einem neuen Anpassungsprogramm kommt, sollen nach dem Willen unserer Kapitaleigner, der Eurostaaten, nicht mehr vier, sondern zwei Institutionen dieses Programm konzipieren, verhandeln und überwachen: der ESM und die EU-Kommission.
 
Also keine „Troika“ mehr.
 
In jüngster Zeit wurde die „Troika“ ohnehin zum Quartett, weil wir dazugehörten. Bei Ausbruch der Griechenland-Krise 2010 war die Arbeitsteilung aber eine andere. Der ESM-Vorgänger EFSF wurde geschaffen, um Geld am Markt aufzunehmen. Die Programme konzipiert und überwacht haben die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank (EZB) und der IWF – deshalb „Troika“. Die Arbeitsteilung war damals sinnvoll, weil wir damals inhaltlich zur Programmüberwachung nichts beitragen konnten. Das hat sich nach und nach geändert. Wir haben nach fast neun Jahren eine Reife entwickelt, die uns erlaubt, auch inhaltlich mitzureden. Jetzt wird aus dem Quartett ein Tandem.
 
Die EZB und der IWF sind künftig gar nicht mehr dabei?
 
Zumindest nicht mehr so prominent. Die EZB wird weiterhin eine Rolle in der Überwachung des Finanzsystems eines Landes spielen. Der IWF bleibt auf alle Fälle an der Beobachtung der mittlerweile aus den Programmen entlassenen Eurostaaten beteiligt. Ob er darüber hinaus noch einmal als Kreditgeber für einen Eurostaat fungiert wird im Einzelfall entschieden werden müssen.
 
Wie viele zusätzliche Mitarbeiter brauchen Sie für Ihre neuen Aufgaben?
 
Wir haben das klare Mandat der Mitgliedstaaten, auf Augenhöhe mit der Kommission zu agieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste unsere Belegschaft von derzeit rund 180 um etwa 20 Prozent wachsen, das wären etwa 30 bis 40 Personen. Aber darüber hinaus wird es nicht gehen.
 
Die Eurogruppe hat auch beschlossen, dass der ESM spätestens von 2024 an als Letztsicherung („Common Backstop“) für den Bankenabwicklungsfonds SRF fungieren soll. Brauchen Sie für diese Aufgabe zusätzliches Personal?
 
Wahrscheinlich einige ganz wenige. Wir haben jetzt schon eine kleine Bankenabteilung, weil in unserem Aufgabenkatalog bisher auch die mögliche direkte Rekapitalisierung maroder Banken fällt. Dieses Instrument wird jetzt eingestellt;  dafür gibt es dann den Abwicklungsfonds. Unsere Bankenabteilung kann sich künftig um den „Backstop“ kümmern. Ein paar kundige Mitarbeiter mehr werden wir aber wohl benötigen. Wenn der SRF von uns einmal Geld brauchen sollte, um eine große Bank abzuwickeln, muss es schnell gehen. Deshalb ist auch in ruhigen Zeiten ein permanenter Austausch mit der Abwicklungsbehörde und ihrem Fonds notwendig.
 
„Letztsicherung“, das bedeutet, dass der ESM dem SRF im Bedarfsfall Kredite gewährt. In Deutschland ist dafür die Zustimmung des Parlaments notwendig. Lässt sich das gewährleisten, wenn es zugleich schnell gehen muss?
 
Im Idealfall erfolgt eine Bankenabwicklung über ein Wochenende. Manchmal, wie im Fall von Banco Popular im Juni 2017, muss es sogar über Nacht gehen. Die Eurogruppe hat jetzt festgehalten, dass eine Kreditfreigabe – diese erfordert die einstimmige Zustimmung der Staatssekretäre aller 19 Eurostaaten – binnen zwölf Stunden erfolgen soll und die Staaten in dieser Zeit die parlamentarische Zustimmung gewährleisten müssen. Das muss alles eng ineinandergreifen. In außergewöhnlich schwierigen Fällen kann der geschäftsführende Direktor des ESM diese Frist auf 24 Stunden verlängern.
 
Kann dieses Modell funktionieren?
 
Die sehr gründliche parlamentarische Beteiligung, wie sie jetzt in Deutschland vorgesehen ist, geht ja auf das Bundesverfassungsgericht zurück. Sie geht in manchen Dingen sehr weit. Ich meine das nicht grundsätzlich. Wenn der ESM einen Kredit gewährt, steht das Parlament für Risiken ein, deshalb stelle ich seine Kontrollrechte nicht in Frage. Aber der Bundestag wollte ja ursprünglich selbst einen Sonderausschuss einsetzen, dessen Vorbild das Parlamentarische Kontrollgremium zur Aufsicht über die Geheimdienste war. Dieses Gremium hätte wenige Mitglieder gehabt, die unsere Tätigkeit intensiv begleitet hätten. Das wäre einfacher zu handhaben gewesen. Aber wir müssen jetzt mit den Vorgaben aus Karlsruhe leben. Es ist eine Herausforderung, und ich hoffe, dass wir ihr gerecht werden. Einfach ist das sicher nicht.
 
Läuft der „Backstop“ nicht darauf hinaus, dass Banken jetzt doch wieder mit Steuergeld gerettet werden müssen?
 
Nein. Der „Backstop“ erlaubt eine vorübergehende Finanzierung des Abwicklungsfonds durch den ESM. Er wird sehr selten gebraucht werden. Das vergleichbare Instrument in den Vereinigten Staaten wurde in 60 Jahren genau zweimal in Anspruch genommen. Der Abwicklungsfonds, der von den Banken finanziert wird, muss unsere Kredite ja zurückzahlen. Müssten die Banken stattdessen,  vorab doppelt so viel zum SRF beitragen, käme dieser Beitrag aus ihrem Eigenkapital. Das würde die europäischen Institute im Vergleich zu ihren amerikanischen und asiatischen Wettbewerbern zu sehr schwächen.
 
Unverändert sehr umstritten ist das Vorhaben einer gemeinsamen Einlagensicherung. Sind Sie dafür?
 
Sie sollte nicht überstürzt eingeführt werden. Es ist sinnvoll, zunächst dafür zu sorgen, dass die Kapitalbasis der Banken verbessert und der Bestand an notleidenden Krediten abgebaut wird. Aber prinzipiell ist eine gemeinsame Einlagensicherung auf alle Fälle sinnvoll. Hätte es sie in der Finanz- und Eurokrise schon gegeben, hätte der Umfang der ESM-Kredite um etwa ein Drittel geringer ausfallen können. Das in Deutschland gängige Argument, mit der Einlagensicherung stünden deutsche Sparer für Einleger in südeuropäischen Ländern ein, stimmt übrigens nicht. In der Finanzkrise waren nur in Spanien und Irland mehr öffentliche Mittel zur Bankenrettung notwendig als in Deutschland.
 
Wie groß ist aktuell Ihre Sorge um Italien? Droht das Land zu Ihrem nächsten Kunden zu werden?
 
Das sehe ich nicht. Natürlich hat die italienische Regierung aktuell dafür gesorgt, dass Investoren und Verbraucher verunsichert sind. Und die Wachstumserwartungen fürs vierte Quartal sind sehr, sehr schwach. Aber davon abgesehen unterscheidet sich die Lage nicht von der vor zehn Jahren. Das Durchschnittswachstum war in den letzten 25 Jahren schwach, es lag bei etwa der Hälfte des Euro-Durchschnitts. Der Schuldenstand ist in dieser Zeit relativ konstant geblieben. Man hätte sich natürlich gewünscht, dass er zurückgeht. Aber viele Fachleute haben die hohe Staatsschuld in den vergangenen Jahren analysiert und sind immer wieder zum Schluss gekommen, dass der hohe Schuldenstand tragbar ist. Den Marktzugang hat Italien nie verloren.
 
Und das kann sich auch nicht ändern?
 
Natürlich dürfen keine Politikfehler gemacht werden. Und wir wollen hoffen, dass es jetzt nicht zu solchen Fehlern kommt.
 
Die italienische Regierung plant für 2019 mit einer erheblich höheren Neuverschuldung als ursprünglich mit der EU vereinbart. Jetzt deutet sie an, sie könne die Defizitquote noch um zwei Zehntelpunkte senken. Reicht das?
 
Die EU-Kommission hat den Budgetplan im letzten Monat zurecht zurückgewiesen und fordert jetzt einen substanziell veränderten Plan. Was die Regierung bisher angedeutet hat, scheint mir dieser Anforderung nicht zu genügen. Dass jetzt Gespräche zwischen Rom und Brüssel stattfinden, ist ja gut. Man muss nicht immer gleich die nächste Krise ausrufen.
 
Wenn man die Äußerungen italienischer Regierungspolitiker ernst nimmt, scheinen sie sich aber nicht weiter um „Brüssel“ zu scheren.
 
Unterschätzen Sie nicht den sanften Druck, der vom EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt ausgeht. Der Pakt funktioniert nicht perfekt, aber besser, als es gerade in Deutschland oft behauptet wird. Das durchschnittliche Staatsdefizit ist in Europa deutlich geringer als in Amerika oder Japan. Mit Blick auf Italien gilt: In der Eurogruppe unterstützen alle 18 anderen Staaten die Kommission.
 
 
 

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