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Klaus Regling im Interview mit Radio Bayern 2

Interviews
ESM
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Interview mit Klaus Regling, ESM Geschäftsführender Direktor
Radio Bayern 2
Erscheinungstag: 1. Februar 2022
Interviewer: Christine Bergmann
Originalsprache: Deutsch

 

 

Christine Bergmann: Herr Regling, in Griechenland spüren die Menschen heute noch die heftigen Sparmaßnahmen. Waren Sie da damals zu streng?

Klaus Regling: Die Sparmaßnahmen waren hart. Das wurde ja eben auch durch die Einspielung aus Athen noch einmal deutlich gemacht für das Gesundheitssystem. Aber sie waren insgesamt unumgänglich. Griechenland hatte damals tatsächlich riesige ökonomische Probleme und bekam kein Geld mehr von den internationalen Finanzmärkten, um seine Haushaltsdefizite und seine Handelsbilanzdefizite auszugleichen. Von daher war eine Anpassung unumgänglich, die alle Bereiche Griechenlands erfasst hat und die sehr schmerzhaft waren für die Bevölkerung. Aber letztlich war es unumgänglich, weil die Einkommensentwicklung im ersten Jahrzehnt der Währungsunion, also von 1999 bis 2009 in Griechenland einfach zu hoch war. Die Einkommen, Gehälter, Pensionen waren viel schneller gestiegen als im Rest von Europa. Dadurch hat Griechenland Wettbewerbsfähigkeit verloren und war permanent auf riesige Kapitalzuflüsse aus dem Ausland angewiesen, um das zu finanzieren. Und die Märkte waren nicht mehr bereit, das zu tun. Insofern mussten diese Probleme beseitigt werden, damit Griechenland wieder eine gesunde wirtschaftliche Zukunft haben konnte.

Bergmann: Der ESM, der hatte ja da lange die Rolle des Buhmanns in diesen Krisenländern. Aber wie sie jetzt selber auch sagen, selbst in Griechenland hat es ja offenbar gewirkt. Auch in den anderen Ländern, die Kredite bekommen haben, brauchte es tatsächlich diesen drastischen Zwang.

Regling: Ja, weil es eben Probleme gab, die beseitigt werden mussten – in Griechenland am massivsten. Dort waren die Probleme wie das Haushaltsdefizit, aber auch der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit international gesehen am größten auch die anderen vier Länder, die Gelder bekommen haben von EFSF und vom ESM – also Portugal, Irland, Spanien und Zypern – hatten dieses Problem und mussten deshalb ihre Wirtschaftsprobleme beseitigen. Und dafür gab es dann mehrere Jahre lang Finanzierung von den europäischen Partnern. Aber es wäre nicht sinnvoll gewesen, diese Finanzierung zu geben, ohne dass die Länder ihre Probleme beseitigen. Denn dann hätten wir heute noch die gleiche Situation wie vor zehn Jahren und müssten immer noch weiterhin dort Kredite hingeben, wenn die zugrundeliegenden Probleme nicht beseitigt worden wären. Sie sind zum Glück beseitigt worden, in den anderen Ländern innerhalb von zwei, drei Jahren. In Griechenland hat es acht Jahre gedauert, aber letztlich war der Ansatz erfolgreich. Denn alle diese fünf Länder, auch Griechenland, haben dann den Zugang zum Markt wieder bekommen zu vernünftigen, heute niedrigen Zinsen. Und die Wirtschaftsentwicklung, bis dann die Pandemie uns alle getroffen hat, also bis einschließlich 2019, war die Wirtschaftsentwicklung in diesen fünf Ländern auch in Griechenland besser als im Durchschnitt des Euroraums. Insofern hat der Ansatz funktioniert. Griechenland hatte zum Beispiel eine „schwarze Null“ von 2017 an für drei Jahre, also erfolgreich bei der Anpassung. Die Probleme waren beseitigt, aber auch erfolgreich nach dieser Anpassung von der Wirtschaftsentwicklung, vom Wachstum und von der Beschäftigungsentwicklung her.

Bergmann: Damals war die Lage ja wirklich kritisch. Und da haben viele zusammengeholfen, um den Euro zu retten, auch die EZB [Europäische Zentralbank] mit ihren ungewöhnlichen Maßnahmen, diesen Krisenmodus. Den haben wir, wenn wir jetzt mal die EZB betrachten, nie wirklich verlassen. Die Zinsen sind nach wie vor extrem niedrig, und das könnte sich ja auch als das nächste Problem erweisen, da viele Euro-Länder jetzt auch durch die Pandemie sich weiter verschuldet haben. Machen Sie sich da jetzt Sorgen?

Regling: Also zunächst mal, was sie am Anfang gesagt haben, drei Dinge kamen zusammen, um aus der Krise herauszukommen, und es ist wichtig, dass das gleichzeitig passiert ist. Erstens haben die Länder tatsächlich ihre Hausaufgaben gemacht und die Wirtschaftsprobleme, die zur Krise geführt hatten, über einige Jahre hinweg abgebaut und beseitigt. Wenn das nicht passiert wäre, wären diese Länder immer noch in der Krise. Zweitens hat die EZB in der Tat sehr deutlich geholfen. Und drittens die Schaffung des ESM. Ohne dem wäre es vermutlich auch unumgänglich gewesen, dass einige Länder die Währungsunion verlassen hätten. Insofern ist es dieser Dreiklang, der uns aus der Krise gebracht hat. Ich würde nicht sagen, dass wir heute noch im selben Krisenmodus sind wie vor zehn oder zwölf Jahren. Denn die Wirtschaftskrise, die Covid tatsächlich für uns alle gebracht, hat aber eben auch alle Länder des Euroraums. Und alle Länder eigentlich rund um die Welt, hat natürlich einen völlig anderen Charakter als die Euro-Krise. Damals gab es diese massiven wirtschaftlichen Probleme in einzelnen Ländern wie Haushaltsdefizite, Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Die mussten beseitigt werden, und das führte dann zu schmerzhaften Anpassungen. Covid hat die ganze Welt in eine Krise gestürzt, aber eben eine ganz andere. Es gab keine länderspezifischen Anpassungsprobleme, die man hätte angehen müssen, sondern es gab für alle Länder das Problem, dass die Wirtschaftsleistung abgesunken ist wegen der Lockdowns. Und dadurch musste der Staat in allen Ländern viel Geld in die Hand nehmen, um gegenzusteuern. Und das war absolut richtig, weil sonst die Wirtschaftsleistung noch stärker eingebrochen wäre im Jahre 2020, als sie es ohnehin getan hat. Insofern war das die richtige Antwort der Wirtschaftspolitik auf diese Art von Krise, die aber eben ganz anders war als die Euro-Krise vor zehn Jahren.

Bergmann: Jetzt wird ja auch darüber debattiert, die Schuldenregeln aufzuweichen. Auch sie selbst haben einen Vorschlag gemacht, der so manchen überrascht haben mag. Woher kommt denn der Sinneswandel, das nun doch die Schuldengrenzen irgendwie flexibler gehandhabt werden?

Regling: Wir haben ja den Stabilitäts- und Wachstumspakt seit Beginn der Währungsunion, und er hat auch einigermaßen funktioniert – besser, als das oft wahrgenommen wird. Aber er hat nicht perfekt funktioniert. Aber wir sehen, dass sich das wirtschaftliche Umfeld geändert hat. Zinsen sind heute niedriger als vor 30 Jahren, als der Maastricht-Vertrag, der zur Währungsunion geführt hat, verhandelt wurde. Und die Aufgabe der Schuldenregel ist es, sicherzustellen, dass Staaten, alle Mitgliedsstaaten der Währungsunion, dauerhaft zahlungsfähig sind. Wir wollen nicht, dass einzelne Länder zahlungsunfähig werden. Und wenn man sich dann anschaut – welche Schuldenhöhe tragbar ist, ohne dass ein Land in eine Zahlungsunfähigkeit rutschen könnte – dann kommt man zum Ergebnis, dass heute dieser Schuldenstand höher sein kann, als wir das vor 30 Jahren gedacht haben. Die Volkswirtschaft ist ja keine Naturwissenschaft, wo immer alles gleichbleibt, sondern die Umstände ändern sich im Zeitablauf. Und es gibt gute Gründe, warum die Zinsen heute niedrig sind. Sie werden nicht so niedrig bleiben, wie aktuell. Die Zinsen werden vom heutigen Niveau steigen, aber sie werden nicht wieder auf das Niveau der 80er oder 90er Jahre steigen. Und damit ist es eben möglich, einen höheren Schuldenstand zu finanzieren, als es früher gedacht war. Ganz aktuell haben alle Länder im Euroraum eine wesentlich geringere Zinsbelastung in ihrem Haushalt als vor 20 Jahren, obwohl die Schuldenstände ja auch wegen der Pandemie stark gestiegen sind. Jetzt die letzten zwei Jahre. Trotzdem ist die Zinslast im Haushalt nur ein Drittel oder ein Viertel von dem, was sie früher einmal war. Und es gibt sehr viele Forschungsarbeiten zu dem Thema, warum Zinsen heute niedrig sind – wie gesagt, nicht so niedrig wie aktuell, aber im Durchschnitt niedriger bleiben werden als vor zwei, drei Jahrzehnten – weil einfach die Ersparnis aufgrund der Alterung der Bevölkerung steigt, weil die Ungleichheit der Vermögen dazu führt, dass die Sparquote hoch ist. Und das ist ein Thema nicht nur Deutschland oder Europa, sondern gilt für die ganze Welt. Denn es gibt einen Welt Zinssatz, der durch diese Faktoren beeinflusst wird. Und da kann man zuversichtlich sein, dass sich das nicht schnell ändert. Deshalb: ein höherer Schuldenstand ist finanzierbar. Ich würde das übrigens nicht eine Aufweichung der Schuldenregeln nennen, sondern das ist einfach notwendig, dass wir ein System haben, in der Währungsunion – auch für die Beaufsichtigung der Haushaltspolitik – das wirtschaftlich angemessen ist und nicht zu falschen Rückschlüssen führt.

Bergmann: Als eine gewisse Flexibilität, die eben auch im Europäischen Währungssystem sinnvoll wäre. Klaus Regling war das, der geschäftsführende Direktor des ESM herzlichen Dank, Herr Regling für das Gespräch.

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