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Rolf Strauch speaks at discussion on European monetary fund in Berlin (in German)

Speeches
Berlin, Germany

 

Rolf Strauch, ESM Chefökonom
"Europäischer Währungsfonds –
Integrationsfortschritt oder Sprengsatz an der Gemeinschaft?"
Expertengespräch im Deutschen Bundestag
Berlin, 14. Juni 2018
 
(Es gilt das gesprochene Wort)

 
Sehr geehrter Herr Dr. Toncar,
sehr geehrter Herr Prof. Westerhoff,
sehr geehrte Damen und Herren,
                         
ich freue mich über die Anzahl von Gästen. Ich deute dies, als ein reges Interesse an der Arbeit des ESM.

Lassen Sie mich in den kommenden 15 Minuten die Gelegenheit nutzen, um zu erklären, warum ich die Weiterentwicklung des ESM zu einem Europäischen Währungsfonds als Integrationsfortschritt und nicht als „Sprengsatz an der Gemeinschaft“ ansehe.

In der aktuell guten wirtschaftlichen Lage vergessen wir oft, dass sich der Euroraum vor nicht allzu langer Zeit in seiner bislang schwersten Krise befunden hat.

Der Euroraum verzeichnet seit drei Jahren ein kräftiges Wachstum. Die Schuldenstände sind rückgängig, die Haushaltsdefizite gesunken. Und die hohen Leistungsbilanzdefizite, die die Krise mitverursacht haben, sind weitgehend verschwunden.

An dieser guten Lage hat der ESM seinen Anteil. Der Euroraum hätte in seiner heutigen Form die Krise nicht ohne den ESM überstanden. Aber der ESM war natürlich nicht die einzige Antwort auf die Krise. Es ist aus unserer Sicht wichtig nicht den Blick auf das Gesamtparket zu verlieren, mit dem die Politik die Krise bekämpft hat:

Erstens, wurden tiefgreifende Strukturreformen in den jeweiligen Krisenländern umgesetzt. Ebenso haben diese Länder ihre öffentlichen Haushalte konsolidiert und ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Dies gelang besonders in Ländern mit ESM Programmen.

Zweitens, wurde die wirtschafts- und haushaltspolitische Koordinierung und Überwachung auf europäischer Ebene verbessert und breiter angelegt.

Drittens stabilisierte die Europäische Zentralbank (EZB) den Euro mit einer unkonventionellen Geldpolitik.

Viertens, wurde die Bankenunion geschaffen: mit dem Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM), der systemrelevante Banken überwacht. Und dem Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRB), der im Notfall Banken abwickelt und deren operatives Geschäft beendet.

Fünftens, wurden die Euro-Rettungsschirme gegründet. In 2010 wurde zunächst die temporäre Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) geschaffen. Zwei Jahre später wurde der permanente Rettungsschirm aufgespannt, der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM).

Vor der Gründung der beiden Rettungsschirme gab es für die Euro-Länder keinen so-genannten „Kreditgeber der letzten Instanz“. Denn die Europäische Zentralbank ist der Kreditgeber der letzten Instanz für die Banken des Euroraums, aber nicht für die Mitgliedsstaaten. Somit haben die Rettungsfonds eine institutionelle Lücke in der Währungsunion gefüllt.

Bei der Kreditauszahlung wendet der ESM das Prinzip des Internationalen Währungsfonds (IWF) an: Darlehen werden mit strikter Konditionalität verbunden. Dies bedeutet, sie werden nur ausgezahlt, wenn das Empfängerland die Reformen umsetzt, die im ESM-Programm vereinbart wurden.

Diese Reformen sind oft schwierig in der Umsetzung, für die Bevölkerung sowie für die Regierung. Sie sind aber notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen und um das Vertrauen der Investoren wiederzuerlangen.

Der ESM bekommt das Geld für die Darlehen, indem er regelmäßig Anleihen begibt. Er gehört zu den größten Anleihe-Emittenten im Euroraum. Die Krisenländer müssen ihre Darlehen in vollem Umfang mit Zinsen zurückzahlen. Anders, als oft behauptet wird, werden bei den ESM-Programmen keine Steuergelder genutzt. Es werden lediglich Risiken übernommen.

Seit 2011 haben beide Rettungsschirme Kredite an fünf Länder vergeben: Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern. Der ESM alleine hat in diesem Zeitraum Darlehen im Wert von rund €280 Milliarden ausgezahlt.

Vier der fünf der Programmländer sind heute wirtschaftliche Erfolgsgeschichten: Sie können sich wieder selbstständig am Markt finanzieren, verzeichnen rasch sinkende Arbeitslosigkeit und gehören zu den dynamischsten Volkswirtschaften Europas. Griechenland unternimmt große Anstrengungen, um die Reformauflagen zu erfüllen und somit das ESM-Programm im August 2018 verlassen zu können.

Im letzten Dezember hat der Ratspräsident Tusk der Eurogruppe das Mandat gegeben an zwei Themen zu arbeiten, die er in der Folge beim Gipfel ansprechen möchte: an der Vollendung der Bankenunion und an der Weiterentwicklung des ESM.

Erstens, braucht der Einheitliche Abwicklungsfond (SRF) eine Letztabsicherung, um auch im Falle sehr großer Krisen ausreichend Liquidität zu haben.

Zweitens, geht es um eine gemeinsame Einlagensicherung (EDIS). EDIS ist der letzte Baustein, der die Bankenunion vollenden würde. Sie würde dazu beitragen, die Fragmentierung der Finanzmärkte in Europa zu überwinden und einen einheitlichen europäischen Finanzmarkt zu schaffen.

Neben der Vollendung der Bankenunion wird erwartet, dass die Weiterentwicklung des ESM das zweite Hauptthema beim Euro-Gipfel Ende Juni sein wird. Dies reflektiert das Vertrauen der Mitgliedstaaten in den ESM auf der Basis seiner bisherigen Arbeit.

Um die Währungsunion krisenfester zu machen, könnte der ESM folgende neue Aufgaben übernehmen.

Erstens, könnte der ESM die finanzielle Letztabsicherung für den Einheitlichen Abwicklungsfond (SRF) sein. Dies würde folgendermaßen aussehen: Der ESM würde dem SRF eine Kreditlinie zur Verfügung stellen. Diese Kreditlinie hätte ungefähr das gleiche Ausmaß wie die Eigenmittel des Fonds [zwischen €55 und €60 Milliarden]. Sollte der SRF jemals auf diese Kreditlinie zurückgreifen, müsste der SRF dieses Geld wieder über Abgaben von den europäischen Banken zurückzahlen.

Zweitens, könnte der ESM in Zukunft eine bedeutendere Rolle bei künftigen Krisenprogrammen spielen. In anderen Worten, die Vorbereitung und Überwachung von Anpassungsprogrammen könnte zu einer gemeinsamen Aufgabe der Kommission und des ESM werden. Dabei werden wir Acht geben, die Kompetenzen der Kommission nicht zu duplizieren und ihre Rolle – wie im EU-Vertrag beschrieben – nicht in Frage zu stellen.

Seit dem Beginn der Krise 2010, hat sich die Rolle des ESM ausgedehnt. Zudem hat der ESM auch über seine direkte Rolle für die effiziente Finanzierung von Krediten hinaus im Politikbereich Anerkennung gefunden. Und wir haben einen Prozess eingerichtet, um eventuelle Risiken für die Rückzahlung unserer Kredite zu bewerten. Hierzu gehört unter anderem eine Schuldentragfähigkeitsanalyse. Zunehmend haben wir auch zur Ausgestaltung von Programmen – vorrangig im Bereich der Banken und Privatisierung – und der Finanzplanung beigetragen. Gleichzeitig sind die Beiträge des IWF von einem Drittel auf null für das aktuelle griechische Programm gesunken. Es spricht deshalb einiges dafür, dass wir künftig auf einen weiterentwickelten ESM mit einem erweiterten Mandat bauen, der Programme zusammen mit der Kommission gestaltet.

Drittens könnte man erwägen, das „Instrumentensortiment“ des ESM zu überprüfen und zu verändern. Der ESM hat verschiedene Instrumente, mit denen er Euro-Staaten in einer Krise finanziell unterstützen kann. Es wurden jedoch bislang nur zwei der insgesamt sechs Instrumente genutzt: klassische Darlehen im Rahmen eines ESM-Programms wie im Fall von Griechenland, Irland, Portugal und Zypern. Und ein Darlehen an die spanische Regierung zur Rekapitalisierung des Bankensektors. Daher könnte man prüfen, ob alle ESM-Instrumente ihre Existenzberechtigung haben oder möglicherweise verbessert werden könnten.

Gleichzeitig könnte man überlegen, ob man neue Instrumente zur Stabilität der Währungsunion schafft. Damit meine ich eine neue Finanzfazilität zur makroökonomischen Stabilisierung im Fall von kleineren Krisen, in die ein Land ohne Eigenverschulden gerät.

Lassen sie mich ein rein hypothetisches Beispiel für eine solche Krise nennen: im Falle eines sehr harten Brexit wäre Irland aufgrund seiner engen Wirtschaftsbeziehung zu Großbritannien stärker betroffen als andere EU-Mitgliedsstaaten. In diesem Fall könnte ein kurzfristiges ESM-Darlehen mit geringeren Reformauflagen verhindern, dass aus einer relativ kleinen Krise eine große Krise wird, die dann möglichweise ein großes ESM-Programm erfordert. Hierbei ist es aber wichtig zu erwähnen, dass es nicht um Finanztransfers handelt, sondern, dass ein solcher Kredit innerhalb eines Konjunkturzyklus es – also zwischen fünf bis sechs Jahren – zurückgezahlt werden müsste.

Viertens, könnte der ESM eine Rolle bei Umschuldungen spielen. Der ESM hat Erfahrungen im Bereich Schuldentragfähigkeit, und er ist am Markt tätig. Deshalb könnte er zum Beispiel in einem Rahmenwerk für Umschuldungsverfahren mit privaten Gläubigern die Rolle des neutralen Mediators übernehmen. Der Prozess müsste flexibel gestaltet werden und Entscheidungen müssten von Fall zu Fall bewertet werden. Was automatische Laufzeitverlängerungen angeht bin ich eher skeptisch. Denn ich sehe die Gefahr, dass diese prozyklisch wirken und eine Krise herbeiführen könnten, die noch hätte verhindert werden können.

Lassen Sie mich zum Ende noch ein paar Worte sagen wie der ESM institutionell aufgestellt sein sollte. Der Vertrag, auf dessen Grundlage der ESM während der Krise aufgebaut wurde, ist zwischenstaatlicher Natur. Rein juristisch ist der ESM keine EU-Institution. Vielmehr sind die 19 Euro-Länder Anteilseigner des ESM. Im vergangenen Dezember hat die Kommission vorgeschlagen, den ESM in das Unionsrecht durch eine Änderung von Sekundärrecht zu überführen. Dies ist eigentlich nur für kleinere technische Anpassungen vorgesehen.

Die Überführung des ESM in den Rechtsrahmen der Europäischen Union könnte zu dem Zeitpunkt erfolgen, wenn der EU-Vertrag geändert wird. Dabei könnte die Europäische Investitionsbank (EIB) als Vorbild dienen. Die EIB ist in die EU-Verträge mit einem eigenen Protokoll verankert, hat eigenes Kapital und einen Verwaltungsrat, in dem die Anteilseigner - die EU-Mitgliedsstaaten - vertreten sind. Im Falle des ESM wären die Anteilseigner die 19 Euro-Staaten. Notwendig wäre dafür eine Änderung des Primärrechts, also des EU-Vertrags.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie Sie in meiner Ausführung gehört haben, sehe ich einer möglichen Weiterentwicklung des ESM gespannt entgegen. Ich denke, die ist ein Integrationsfortschritt nicht nur für den ESM, sondern auch für die Gemeinschaft, da es die Finanzstabilität des gesamten Euroraums sichert.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und freue ich auf eine rege Diskussion.
 
 

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