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Interview mit Kalin Anev Janse mit der Börsen-Zeitung 7 Dezember 2019

ESM

Interview mit Kalin Anev Janse, ESM-Finanzchef mit der Börsen-Zeitung
Erscheinungstag:  7 Dezember 2019
Interviewer: Kai Johannsen

Originalsprache: Deutsch
 
 
Börsen-Zeitung: Herr Anev Janse, im März haben Sie angekündigt, dass Sie einen neuen Service bzw. ein Instrument für die Emission von Schuldpapieren öffentlicher Institutionen in Europa entwickeln. Wie ist der aktuelle Stand?
 
Kalin Anev Janse: Die Europäische Zentralbank hat nun die Marktkonsultationen für einen Mechanismus für die Emission und die Distribution von Schuldpapieren öffentlicher Emittenten in der Eurozone abgeschlossen. Es gab von Seiten der Emittenten und Investoren ein sehr breit angelegtes Feedback. Es ging dabei um die Analyse, warum derzeit kein paneuropäischer neutraler harmonisierter Mechanismus für die Emission und erstmalige Distribution von Wertpapieren existiert, und zwar für den gemeinsamen Währungsraum als einen eigenständigen Markt. Es sollte evaluiert werden, inwieweit es Sinn ergibt, genau einen solchen Service zu etablieren. Die EZB hat hierzu von 70 Marktteilnehmern Rückmeldungen erhalten, darunter auch von Marktverbänden wie etwa der ICMA. Diese finden sich auch auf der EZB-Webseite wieder. Unsere Antworten sind natürlich auch dabei. Die EZB sieht sich nun die Ergebnisse dieser Befragungen an. Dann wird sie entscheiden, ob sie mit dem Mechanismus EDDI (European Distribution of Debt Instruments service) weiter machen wird. Wir freuen uns darauf, mit der neuen EZB-Präsidentin Christine Lagarde bei diesem Projekt weiter zusammenzuarbeiten.
 
Ihren Plänen zufolge sollten die Vorbereitungen für dieses Tool oder diese Plattform noch das gesamte nächste Jahr in Anspruch nehmen. Ist ein Start dieses Mechanismus 2021 realistisch?
 
Das Timing des gesamten Prozesses und die nächsten Schritte werden seitens der EZB vorgenommen. Die Vorbereitungen werden auch aus heutiger Sicht wohl noch bis Ende 2020 andauern. Aus heutiger Sicht und unter Vorbehalt, dass die Entscheidung gefällt wird, diesen EDDI-Mechanismus weiter entwickeln zu wollen, ist ein Start im Jahr 2022 durchaus realistisch, vermutlich aber eher in der zweiten Jahreshälfte.
 
Mit welcher Art von Investoren soll diese Plattform starten?
 
Ich möchte festhalten, dass es sich bei EDDI nicht um eine Plattform, sondern um ein Service-Tool handelt. Auf einer Plattform würden Emittenten und Investoren direkt in Kontakt zueinander treten. Es geht nicht darum, für eine Disintermediation der Banken zu sorgen. EDDI ist mehr als ein Service zu verstehen, bei dem Marktteilnehmer effizienter, schneller und mit geringeren Kosten miteinander agieren können. Die gesamte Funktionalität soll von Anfang an auch den Banken und den Investoren zur Verfügung stehen. ESM und Akteure aus dem SSA-Bereich haben eine klare Priorität, warum wir EDDI nutzen wollen: Wir wollen keinen unserer Investoren verlieren. Aus dieser Perspektive lässt sich sagen, dass EDDI dazu führen wird, dass wir mehr Investoren erreichen.
 
Was sind die wesentlichen Vorteile, die dieser neue Service Emittenten bietet?
 
Jeder Emittent, der regelmäßig an den Märkten mit syndizierten Deals auftritt, wird bei diesem Service von einer verbesserten Transparenz, einer schnelleren Ausführung der Transaktionen und geringeren operativen Risiken profitieren. Emittenten können ihre Schuldpapiere leichter im Markt bei in der EU ansässigen Investoren platzieren, und zwar über eine konsistente, effiziente und zentralisierte Basis. So wie die gesamte Infrastruktur heute an den Märkten noch aufgesetzt ist, verläuft dieser Prozess mit Ineffizienzen und operationalen Risiken für die Emittenten, sowohl vor der Emission als auch im Post-Trade-Prozess. EDDI wird hier für Abhilfe sorgen. Mit EDDI wird die Investorenbasis verbreitert.
 
Was bedeutet das für die Distribution?
 
Die Distribution der europäischen öffentlichen Schuldpapiere über diesen Service wird neutraler, harmonisierter und transparenter und deshalb auch attraktiver für Investoren. Neutral ist es deshalb, weil alle Investoren den gleichen physischen Zugang zu dem System haben unabhängig von dem Ort, an dem sie sind. Harmonisiert ist es, weil alle Emittenten das gleiche Tool für das Emissionsprocedere nutzen können. Dadurch wird der Emissionsprozess harmonisiert. Das gleiche gilt für die Dokumentation der Wertpapiere. Transparenz wird hergestellt, weil Investoren auf einen Blick sehen können, was aus dem SSA-Bereich an Anleihen im Angebot ist. Und es werden aufgrund der Daten dieses Service auch weitere Informationen für die Nutzer bereitgestellt werden.
 
Was sind die wesentlichen Vorteile für Bondinvestoren?
 
Die genannten Vorteile gelten für Emittenten und Investoren gleichermaßen. Die Vorteile, die ich für die Emittenten geschildert habe, gelten mit entsprechenden Vorzeichen somit auch für die Investoren. Die Infrastruktur für die Platzierung von Schuldpapieren wird effizienter und weniger kostenintensiv für alle Marktteilnehmer. Eine Verbreiterung der Investorenbasis ist im Interesse der Emittenten. Und die Investoren bekommen umgekehrt einen leichteren Zugang zu Anleihen des SSA-Bereichs. Investoren werden davon profitieren, dass sie direkter mit den Emittenten agieren können und Informationen über Deal-Updates bekommen. Es können Daten zu den Deals automatisch generiert werden. Es wird zudem einen höheren Grad an Standardisierung geben. Es wird auch eine Veränderung des Verhaltens geben. In zehn Jahren wird ein großer Assetmanager nicht mehr von einer ganzen Reihe von Banken angerufen werden wollen, die ihm alle laufend Informationen über einen Deal geben. Man will dann mit verschiedenen Applikationen und Systemen sehr einfach arbeiten, um einen Deal durchzuführen. Die Marktteilnehmer wollen ein einfaches System sehen, wo man mit wenigen Klicks Deals durchführen kann und Daten und Analysen generiert. Eddi wird genau dazu beitragen.
 
Kommen wir zum Funding-Outlook für 2020. Was wird das Refinanzierungsvolumen für den ESM und die EFSF sein?
 
Das Gesamtrefinanzierungsvolumen für kommendes Jahr beläuft sich auf 27,5 Mrd. Euro. Davon werden 19,5 Mrd. Euro auf die EFSF und 8 Mrd. Euro auf den ESM entfallen. Dies sind aber die vorläufigen Zahlen. Die endgültigen Zahlen werden wir wie jedes Jahr über unseren Investorennewsletter kommunizieren. Das geschieht im Laufe des Dezembers.
 
Wie sieht das im Vergleich zu diesem Jahr aus? Das Funding müsste jetzt abgeschlossen sein. Welches Bondvolumen steht am Markt aus?
 
Das gesamte Refinanzierungsvolumen für dieses Jahr lag bei 29,8 Mrd. Euro und wurde bereits komplett realisiert. 20 Mrd. Euro entfielen auf die EFSF und 9,8 Mrd. Euro auf den ESM. Insgesamt haben beide Entitäten ein Bondvolumen von 286 Mrd. Euro ausstehen und davon entfallen 200 Mrd. Euro auf die EFSF und 86 Mrd. Euro auf den ESM. Die letzte ESM-Emission für dieses Jahr war ein 3,5 Mrd. Euro großer Fünfjahresbond, der eine sehr erfolgreiche Transaktion war. Die Rendite dieses Bonds lag bei minus 0,317%. Für die EFSF war die letzte Transaktion dieses Jahres die Aufstockung der aktuellen 10jährigen Anleihe um €1.5Mrd, auf € 3.5 Mrd.   Diese wurde zu einer Rendite von 0.078 % am Markt untergebracht. Der Bond wurde im Markt sehr gut aufgenommen, insbesondere von Banken, Treasuries und Fonds Managern.
 
Im September hat der ESM seinen dritten Dollar-Bond emittiert. Es war die Fälligkeit 2024 mit einem Volumen von 2 Mrd. Euro. Es war also wiederum ein fünfjähriger Bond. Wie wurde er im Markt aufgenommen?
 
Seit 2017 haben wir uns klar dazu verpflichtet, ein bis zwei Benchmarks im Dollar pro Jahr zu emittieren. Wir starteten das Programm mit einer fünfjährigen Laufzeit, es folgte eine zweijährige Fälligkeit, auf die dann wiederum eine fünfjährige Laufzeit in diesem Jahr folgte. Die Restlaufzeiten der zuvor begebenen Papiere nehmen naturgemäß ab, so dass es jetzt mehr Sinn ergab, wieder eine fünfjährige Laufzeit zu begeben, als etwa eine zwei- oder dreijährige Fälligkeit. Nun haben wir am kurzen Marktende eine kleine Kurve aufgebaut mit den ausstehenden Fälligkeiten 2020, 2022 und 2024. Der neue fünfjährige Deal wurde am Markt sehr gut aufgenommen. Wir hatten ein qualitativ ausgezeichnetes  Orderbuch bei dieser Transaktion. Es gibt für den Dollar-Deal eine sehr diversifizierte Investorenschaft. Bei diesem Deal haben wir mit 61% eine sehr hohe Nachfrage insbesondere von den Zentralbanken gesehen. 33% kamen von hochwertigen Banken Treasury Accounts. Wir hatten zudem fünf neue Investoren aus dem asiatischen Raum. Es war für Emittent und Investoren gleichermaßen ein erfolgreicher Deal. Das Funding im Dollar ist für dieses Jahr abgeschlossen.
 
Wir leben in einem Niedrig-, Null-  bzw. Negativrenditeumfeld. Investoren sind auf der Suche nach Rendite und gehen dabei die Laufzeitenkurve herauf. Es gibt eine sehr gute Nachfrage nach längeren Laufzeiten.  Können Sie sich vor diesem Hintergrund vorstellen, im Dollar die Kurve heraufzugehen und eine siebenjährige Laufzeit zu emittieren?
 
Es hält uns natürlich nichts davon ab, auch länger laufende Dollarbonds zu emittieren. Es ist aber festzuhalten, dass der größte Teil der Nachfrage im Dollarmarkt in den Laufzeiten bis zu fünf Jahren besteht. Wir haben deshalb eine Präferenz, im Bereich von bis zu fünf Jahren im Dollar zu emittieren. Der Dollar-Markt bietet auch diese Flexibilität, in diesem kurzen Laufzeitenbereich emittieren zu können. Das erlaubt es uns dann auch, Zentralbanken rund um den Globus ansprechen zu können. Es gibt uns einen Zugang zu den Portfolios weiterer Marktteilnehmer. Für 2020 bleibt es bei der Ankündigung, dass es ein oder zwei Dollar-Benchmarks geben wird.
 
Verschiedene Marktteilnehmer waren sehr froh, dass der ESM Emissionen im Dollarmarkt aufnahm, denn sie hatten freie Kreditlinien für ESM im Dollar, aber mancher eben nicht mehr im Euro. Was sagen Ihre Investoren: Wollen sie mehr oder länger laufende Dollarbonds?
 
Die Investoren sind sehr glücklich darüber, dass der ESM die Dollarbonds in sein Refinanzierungsinstrumentarium aufgenommen hat. Für einige Investoren ist der ESM ein neuer Name, d.h. sie können ihr Portfolio um eine weitere Adresse in Europa ergänzen. Das ermöglicht ihnen auch eine Portfoliodiversifikation. Wir sind eine einzigartige Adresse, denn wenn man ESM-Bonds kauft, investiert man praktisch in 19 Eurozone-Mitgliedsstaaten. Dieses Attribut findet man bei keinem anderen Bond. Viele Investoren haben als Basiswährung ihres Portfolios den Dollar. Somit haben sie vor dem Währungshintergrund ein klares Interesse daran, Dollar-Bonds des ESM zu kaufen. Einige von ihnen setzen keine Derivate ein, d.h. sie können keine Eurobonds des ESM kaufen und sie zurück in Dollar swappen.
 
Wie ist der aktuelle Stand beim Programm der Namensschuldverschreibungen, und welche Pläne haben Sie für dieses Segment im kommenden Jahr?
 
Über diese Bonds haben wir in den ersten drei Quartalen 2019 297 Mill. Euro aufgenommen. Diese Anleihen sind eine strategische Diversifikation für uns. Wenn deutsche Investoren, die dieses Instrument vornehmlich kaufen, mehr Interesse haben, können wir auch mehr davon emittieren. Wir wollen in diesem Markt auch künftig Präsenz zeigen. Emissionen sind aber klar nachfragegetrieben, d.h. die Emissionen hängen von dem Interesse der Investoren ab. Allerdings muss es preislich natürlich immer für beide Seiten stimmen.
 
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat wieder mit Neukäufen von Anleihen begonnen. Befürchten Sie, dass dies die Liquidität Ihrer Bonds in den nächsten Jahren einschränken könnte?
 
Die EZB kauft unsere Bonds, seitdem das Quantitative Easing im März 2015 startete. Wir schätzen, dass die EZB in etwa 44% oder 110,5 Mrd. Euro unserer ESM/EFSF-Anleihen im Bestand, die im Rahmen der EZB-Kaufprogramme zu den erwerbbaren Anleihen zählen. Bislang haben diese Käufe nicht zu einer Einschränkung der Liquidität geführt. Wir führen diesbezüglich ein sehr genaues Monitoring durch und nutzen dabei unsere eigenen Fintech-Lösungen. Wir können dabei feststellen, dass der Gesamtumsatz in unseren Anleihen pro Quartal bei 30 bis 40 Mrd. Euro liegt. Da sind die Käufe der EZB bereits herausgerechnet. Die Zahlen reflektieren also, was tatsächlich von Banken auf elektronischen Handelsplattformen mit Investoren gehandelt wird. Wir können also ganz klar sehen, dass die EZB-Käufe nicht die Sekundärmarktliquidität unserer Bonds beeinträchtigt haben.
 
Wie hat sich die Liquidität Ihrer Bonds in diesem Jahr entwickelt, und was sagen Ihre Investoren über den Grad der Liquidität?
 
Wir konnten sehen, dass sich die Liquidität der ESM/EFSF-Bonds trotz des QE der EZB gut entwickelt hat. Der Großteil der Sekundärmarktumsätze unserer Bonds wird mit Ticketgrößen von 20-50 Mill. Euro getätigt. Das nennen wir hier „realer Handel“ ohne Beeinflussung durch QE. Diese Ticket-Größen sind durchaus vergleichbar mit den Handelstickets der Anleihen mittelgroßer Staaten. Die Investoren sind glücklich mit der Liquidität unserer Bonds.
 
Griechenland hat nun ebenfalls negative Renditen, bislang aber nur am Geldmarkt, und sie bekommen auch eine gute Nachfrage für diese Bills mit negativen Renditen. Sie haben auch eine gute Nachfrage bei einer Anleiheaufstockung im Oktober bekommen. Glauben Sie, dass dies  Griechenland ermuntern wird, eine wieder etwas regelmäßiger Emittent an den Bondmärkten 2020 zu werden?
 
Als ESM können wir Griechenland zu den erfolgreichen Anleiheemissionen nur beglückwünschen ebenso zu den dreimonatigen Geldmarktemissionen mit negativen Renditen. Das war sehr beeindruckend. Die erfolgreiche Entwicklung von Griechenland zeigt sich aber auch in der frühzeitigen Rückzahlung von zur Verfügung gestellten Geldern an den Internationalen Währungsfonds. Das generiert natürlich auch Einsparungen für Griechenland. Die Anstrengungen, die in dem Land im Rahmen der Programme unternommen wurden, und die Durchführung von wachstumsstimulierenden Reformen, zeigen nun ihre Wirkung. Auf unseren Roadshows höre ich immer sehr viele positive Kommentare über Griechenland seitens der Investoren. Bisher sprachen wir immer über vier Erfolgsstorys, die die ESM-Programme hinter sich gelassen haben. Nun können wir sagen, dass es fünf sind – denn Griechenland zählt mit dazu.
 
Welche konjunkturelle Prognose geben Sie für die Eurozone im Jahr 2020 ab?
 
Der jüngste Rückgang der konjunkturellen Aktivität reflektiert eine Kombination von externen und inländischen Schocks. Externe Einflüsse sind die Intensivierungen des Handelskonfliktes zwischen den USA und China, das Wiederaufflammen der Spannungen im Mittleren Osten und der immer noch nicht gelöste politische Konflikt des Brexit, die zunehmende Verwundbarkeit einiger Emerging Markets. Diese Faktoren haben alle einen negativen Effekt auf die globale Konjunktur und den Handel. Das beeinträchtigt das Sentiment und belastet auch die Investitionen. Auf der anderen Seite bleibt aber auch die Nachfrage innerhalb der Eurozone sehr widerstandsfähig. Das wird auch durch starke Fundamentaldaten untermauert. Die Arbeitslosigkeit nimmt ab, und die Löhne und Gehälter legen weiter zu. Die Unternehmen finden per saldo sehr gute Refinanzierungskonditionen vor und verfügen zumeist über solide Bilanzen, was die Investitionen stimulieren sollte. Wir gehen von einer graduellen Erholung aus, sobald diese genannten Schocks in den Hintergrund treten. Damit sollten wir wieder in Richtung von Potenzialwachstum gehen. Angesichts der externen Abwärtsrisiken gibt es aber keine kurzfristigen Anzeichen für eine schnelle globale Erholung der Konjunktur. Je länger die schwache weltweite Nachfrage anhält, desto größer sind die Spillover-Effekte von dem verarbeitenden Gewerbe auf alle anderen Bereiche. Damit erhöht sich dann auch die Gefahr einer länger anhaltenden Wachstumsschwäche für die Eurozone.
 
 
 

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