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Ist der Euro sicher? Die Bedeutung einer funktionierenden Währung

ESM
Klaus Regling, ESM Geschäftsführender Direktor
„Ist der Euro sicher? Die Bedeutung einer funktionierenden Währung“
Diskussionsrunde organisiert von Club 20, Michael Tojner und Der Standard
Wien, 16 Januar 2019
 
(Es gilt das gesprochene Wort)
 
Meine Damen und Herren,
 
herzlichen Dank an Sie, Herr Tojner, für die interessante Einleitung. Am 1. Januar 2019 haben wir den 20. Jahrestag des Euro gefeiert. In diese Zeit fiel auch die Euro-Krise, die wir nun schon seit einiger Zeit überwunden haben. Die Frage, ob der Euro heute sicher ist, liegt damit auf der Hand.
 
In meiner kurzen Einleitung möchte ich die folgenden drei Punkte ansprechen:
 
  • Erstens, was ist seit 2010 geschehen, um den Euroraum und den Euro sicherer zu machen?
  • Zweitens, was wird nach dem jüngsten Gipfelbeschluss zur Stärkung der Währungsunion und des ESM zusätzlich umgesetzt?
  • Und drittens, was sollte darüber hinaus noch getan werden, um den Euro und die Währungsunion vollständig wetterfest zu machen?
 
Was ist seit 2010 geschehen, um den Euroraum und den Euro sicherer zu machen?
 
Vor mehr als zehn Jahren rutschte der Euroraum in die schwerste Wirtschaftskrise seit 80 Jahren. Das war zunächst die Folge der globalen Finanzkrise; ausgelöst in den USA und verstärkt durch die Lehman Pleite.
 
Nur zwei Jahre danach folgte dann unsere hausgemachte Eurokrise, für die wir selbst die Verantwortung tragen. In dieser Krise wurde einerseits klar, dass es im ersten Jahrzehnt der Währungsunion in einigen Mitgliedsstaaten erhebliche Fehlentwicklungen bei Wettbewerbsfähigkeit, öffentlichen Schulden und Immobilienblasen gegeben hatte. Und anderseits, dass die Währungsunion institutionelle Schwächen und Lücken hatte.
 
Dank eines breiten Maßnahmenpakets, das in seinem Zusammenspiel erfolgreich war, sind wir heute besser aufgestellt. Tiefgreifende Reformen in den Mitgliedstaaten, die EFSF- und ESM-Kredite erhielten, sowie die unkonventionelle Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) waren wichtige Maßnahmen, um die Krise zu überwinden. Gleichzeitig wurde die Koordinierung der Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene deutlich verbessert. Und die institutionelle Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) wurde erheblich gestärkt, durch die Schaffung der Bankenunion und die Gründung der beiden Rettungsschirme, die ich leite.
 
Im Rahmen der Bankenunion wurden der Einheitliche Aufsichtsmechanismus SSM und der Einheitliche Abwicklungsmechanismus SRM geschaffen.
 
2010 erfolgte die Gründung der temporären Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität EFSF. Zwei Jahre später wurde der permanente ESM geschaffen.
 
Mit diesem Rettungsschirm wurde eine institutionelle Lücke im ursprünglichen Konzept der WWU geschlossen. Vor der Krise gab es keinen „Kreditgeber letzter Instanz für Länder“.
 
Ohne die Schaffung der Rettungsschirme hätten frühere Programmländer wie Griechenland, Irland und Portugal vermutlich die Währungsunion verlassen müssen. Und Europa würde heute anders aussehen.
 
Darlehen werden vom ESM nur ausgezahlt, wenn das Empfängerland umfangreiche Reformauflagen umsetzt. Dieses Prinzip der Kreditvergabe hat sich schon beim Internationalen Währungsfonds (IWF) seit Jahrzehnten bewährt. Anders als manchmal immer noch behauptet wird, werden die ESM-Programme nicht mit Steuergeldern finanziert.
 
Das Geld für die Darlehen wird von den beiden Rettungsfonds am Markt aufgenommen. Die Programmländer müssen ihre Darlehen in vollem Umfang zurückzahlen, einschließlich der Zinsen. Natürlich übernehmen unsere Mitgliedstaaten Risiken, wenn die Rettungsschirme Kredite vergeben. Bei Nicht-Rückzahlung haften die nationalen Budgets.
 
Der ESM hat mit gut 80 Milliarden Euro das höchste eingezahlte Kapital aller internationalen Finanzinstitutionen. Das Kapital dient als Sicherheit für Investoren. Diese Sicherheit ist der Grund, weshalb der ESM ein ausgezeichnetes Rating hat und daher am Markt nur niedrige Zinsen zahlen muss.
 
Die günstigen Finanzierungsbedingungen gibt der ESM an seine Kreditnehmer weiter – gegen strikte Konditionen. Die niedrigen Zinsen verschaffen den jeweiligen Ländern große Ersparnisse in ihren Haushalten. Im Falle Griechenlands waren das 2017 rund 12 Milliarden Euro, fast 7% der griechischen Wirtschaftsleistung.
 
Seit 2011 haben die Rettungsschirme insgesamt Darlehen von rund 295 Milliarden Euro an Irland, Portugal, Griechenland, Spanien und Zypern vergeben. Heute verzeichnen Irland, Portugal, Spanien und Zypern hohes Wachstum, und rasch sinkende Arbeitslosigkeit. Und sie können sich wieder problemlos am Markt refinanzieren. Auch Griechenland ist auf einem guten Weg, vorausgesetzt, das Land setzt seinen Reformkurs weiter fort.
 
Kurz gesagt: seit 2010 ist viel passiert, um den Euroraum zu stärken. Aber darauf sollten wir uns nicht ausruhen. Weitere Schritte wären sinnvoll, um die Währungsunion weniger krisenanfällig zu machen.
 
 
Was wird nach dem jüngsten Gipfelbeschluss zur Stärkung der Währungsunion und des ESM nun umgesetzt?
 
Deshalb arbeitet Europa derzeit an der weiteren Vertiefung der Währungsunion. Dabei geht es um die Vollendung der Bankenunion, die Weiterentwicklung des ESM und fiskalische Fragen.
 
Nun zunächst ein paar Worte zur Weiterentwicklung des ESM:
 
Im Dezember haben die Staats- und Regierungschefs einen Vorschlag der Euro-Finanzminister angenommen, der eine Stärkung des ESM vorsieht. Die Finanzminister setzen das nun in die Realität um. Was bedeutet dies genau?
 
Erstens wird der ESM die Letztabsicherung bei Bankenabwicklungen in der Bankenunion übernehmen – auch Common Backstop genannt. Diese Letztabsicherung in Form eines Darlehens für den Abwicklungsfonds SRF ist sinnvoll, falls die Mittel des SRF nicht ausreichen. Es wird auch hierbei keine zusätzliche finanzielle Belastung für die Steuerzahler geben. Sollte der ESM dem Abwicklungsmechanismus Geld zur Verfügung stellen, würde der SRF dieses Geld über Beiträge von europäischen Banken einfordern und innerhalb von drei bis fünf Jahren an den ESM zurückzahlen. Spätestens 2024 soll die Letztabsicherung voll einsatzfähig sein. Derzeit arbeiten wir Einzelheiten aus wie zum Beispiel die Abstimmungs- und Beschlussprozesse.
 
Zweitens wird der ESM eine stärkere Rolle bei künftigen Hilfsprogrammen spielen. In enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission wird der ESM in Zukunft die Hilfsprogramme konzipieren, aushandeln und überwachen. Beide Institutionen haben sich im November 2018 über ihre künftige Zusammenarbeit verständigt und der Eurogipfel hat das bestätigt.
 
Drittens hat die Eurogruppe den „Instrumentenkasten“ des ESM überprüft. Der ESM verfügt insgesamt über verschiedene finanzielle Instrumente. Bisher wurden nur zwei genutzt: langfristige Darlehen im Rahmen eines ESM-Programms, die an Griechenland, Irland, Portugal und Zypern ausgezahlt wurden und ein Darlehen an Spanien zur Rekapitalisierung des Bankensektors. Teil der Dezember-Beschlüsse ist es auch, die vorbeugenden ESM-Kreditlinien effizienter zu machen.
 
Außerdem wird die Rolle des ESM bei Fragen der Schuldentragfähigkeit gestärkt. Aufgabe des ESM ist es immer, seine Perspektive als Gläubiger im Auge zu behalten. Laut ESM-Vertrag kann der ESM nur dann Kredite an Mitgliedstaaten vergeben, wenn die Schulden dort tragfähig sind. Künftig werden die Kommission und der ESM gemeinsam eine Schuldentragfähigkeitsanalyse erstellen. Außerdem kann der ESM künftig Gespräche zwischen Gläubigern und einem Staat zu einer möglichen Schuldenrestrukturierung erleichtern, falls das gewünscht und sinnvoll ist.
 
Was sollte darüber hinaus noch getan werden, um den Euro und die Währungsunion vollständig wetterfest zu machen?
 
Die Dezember-Beschlüsse sind ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer robusteren Währungsunion. Allerdings wären nach meiner Überzeugung weitere Schritte sinnvoll, um den Euroraum dauerhaft wetterfest zu machen.
 
Im Rahmen der Bankenunion sollte die europäische Einlagensicherung in Angriff genommen werden. Mit einer glaubwürdigen gemeinsamen Einlagensicherung wären die Ängste der Sparer hinfällig, ihre Einlagen eventuell nicht in Euro, sondern in einer neuen, nationalen Währung zurückbekommen. Damit würde der Grund für nationale bank runs entfallen. Eine glaubwürdige Einlagensicherung würde den Schutz der Sparer in der gesamten Bankenunion verbessern, unabhängig davon, wo sich ihre Einlagen befinden. Und ist deshalb die beste Garantie dafür, dass sie praktisch nie genutzt wird. Kurz gesagt: Risikoteilung reduziert in diesem Fall Risiken.
 
Voraussetzung für die Einführung einer europäischen Einlagensicherung ist allerdings eine erhebliche Risikoreduzierung bei den Banken. Altlasten müssen zunächst abgebaut werden. Dabei wurden durchaus Fortschritte erzielt:
 
Die Kernkapitalquote der europäischen Banken lag im September 2018 bei fast 15%. Und das Volumen notleidender Kredite sank im vergangenen Jahr im Euroraum insgesamt um rund 12%, in den Problemländern noch mehr.
 
Da es aber immer noch einige Länder mit Altlasten in den Banken gibt, muss dieser Trend weiter gehen. Ebenso sollte der hohe Anteil heimischer Staatsanleihen in den Bankenbilanzen verringert werden.
 
Zusammen mit einer Kapitalmarktunion würde es eine europäische Einlagensicherung erleichtern, die Fragmentierung der Finanzmärkte in Europa zu überwinden und einen einheitlichen europäischen Finanzmarkt zu schaffen. Denn der Grad der Finanzmarktintegration in Europa liegt heute weit unter dem Stand von vor 10 Jahren. Als Folge der Krise gibt es heute in der Währungsunion 19 nationale Finanzmärkte, nicht einen integrierten Markt. Das verhindert die Risikoteilung über die Märkte, die in den USA so gut funktioniert und für eine quasi-automatische makroökonomische Stabilisierung sorgt.
 
Zur Stärkung des Euroraums gibt es außerdem zahlreiche Vorschläge, für neue fiskalische Instrumente zur makroökonomischen Stabilisierung und zur Konvergenz der Lebensverhältnisse. Doch in dieser Frage gibt es bislang unter den Euro-Mitgliedsstaaten noch keine Einigung.
 
Ich denke, dass über zusätzliche Instrumente zur makroökonomischen Stabilisierung aus folgenden Gründen nachgedacht werden sollte:
 
Erstens fallen in einer Währungsunion zwei makroökonomische Steuerungsinstrumente weg: die Geldpolitik und die Wechselkurspolitik. Deshalb bleibt nur die Fiskalpolitik, um bei Bedarf gegenzusteuern.
 
Zweitens wirkt die Geldpolitik in einem großen Wirtschaftsraum tendenziell immer pro-zyklisch. Regionen oder Länder mit hohem Wirtschaftswachstum und somit höherer Inflationsrate haben tendenziell zu niedrige Realzinsen. Regionen und Länder mit niedrigem Wachstum haben tendenziell zu hohe Realzinsen. Wir sehen das in Europa genauso wie in den USA oder China. Das kann ein Grund sein, fiskalpolitisch gegenzusteuern.
 
Drittens – und wie schon gesagt – ist die wirtschaftliche Risikoteilung im Euroraum viel weniger entwickelt als in den USA. Und zwar sowohl die Risikoteilung über die Märkte als auch die Risikoteilung über die fiskalischen Mechanismen. Im Euroraum gibt es keine gemeinsamen Steuer- und Sozialversicherungssysteme, die permanent die Konjunkturzyklen stabilisieren (wie in den US-Bundesstaaten).
 
Bevor ein fiskalisches Instrument zur makroökonomischen Stabilisierung im Euroraum benutzt wird, sollten alle Euro-Länder natürlich zuerst ihre nationalen fiskalischen Puffer nutzen. So sieht es der Stabilitäts- und Wachstumspakt vor. Diese Puffer müssen deshalb als erstes aufgebaut werden. Aber diese nationalen Puffer könnten durch europäische Instrumente erweitert werden, um in einer Krise mehr fiskalischen Spielraum zu haben.
 
Es gibt mehrere Vorschläge zur makroökonomischen Stabilisierung im Euroraum: Investitionsstabilisierung, Rückversicherung nationaler Arbeitslosensysteme, rainy day funds, kurzfristige ESM-Kredite. Alle diese Vorschläge dienen derselben Zielrichtung, nämlich der zusätzlichen Risikoteilung zwischen den Mitgliedsstaaten im Euroraum. Dadurch kann vermieden werden, dass kleine Krisen sich zu großen Krisen ausweiten, bei denen der ESM zum Einsatz kommen müsste. Wichtig ist, alle diese Vorschläge könnten so konzipiert werden, dass sie nicht zu permanenten Transfers führen.
 
Zurück zur einleitenden Frage von Herrn Dr. Tojner: Ist der Euro sicher?
 
Die Beschlüsse des Euro-Gipfels zielen darauf ab, den Euro sicherer zu machen. Denn es bedarf noch einiger zusätzlicher Schritte, um die Währungsunion zu vervollständigen und den Euro dauerhaft sicherer zu machen. Der ESM wird einen entscheidenden Beitrag dazu leisten.
 
Herzlichen Dank.
 
 
 

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